Einführung
Bei der Formulierung des Titels zu diesem Essay war und bin ich hin- und hergerissen, wie ich meine Intention am besten zum Ausdruck bringen kann. Einerseits werde ich das Thema Komplexität behandeln, andererseits das, was daraus entsteht. Aber bereits das könnte ich genauso gut andersherum formulieren: Alles, was entsteht, wie z. B. Zellen, Leben im Allgemeinen, Wetter, Klima, Planeten, Galaxien, das Universum ist ein Produkt zunehmender Komplexität. Das gleiche gilt für technische Entwicklungen oder Erfindungen, die aus einfachen Konstrukten in immer komplexeren Technologien oder Apparaten resultieren. Ebenso für Organisationen. Darin steckt eine gewisse Magie – aber es ist eben keine Zauberei. Es ist erklärbar. Entweder kennen wir die zugrundeliegenden Mechanismen bereits, oder wir haben mehr oder weniger gute Theorien, die uns erklären, wie etwas funktioniert, oder wir müssen diese noch entwickeln. Persönlich ist es meine Überzeugung, dass wir die Antworten finden werden, und niemals wird die Antwort etwas Übernatürliches, etwas Magisches sein. Eben, Komplexität ist keine Zauberei.
Dennoch wird Komplexität oft für Zauberei gehalten oder zumindest ist es oft unklar, was Komplexität überhaupt ist. Worin besteht zum Beispiel der Unterschied zwischen Kompliziert und Komplex? Sind diese Begriffe synonym? Wenn nicht, wo ist die Abgrenzung? Gibt es einen Übergang von einem komplizierten zu einem komplexen System? Und wenn es diese Unterscheidungen gibt, welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die einzelne Person, deren Umgang mit dem eigenen Leben bzw. der Steuerung und Führung von Organisationen? Und warum tun wir uns so schwer mit komplexen Systemen?
Mit diesen Fragen skizziere ich den Fahrplan für diesen Essay. Potentielle Zielgruppen sind demnach Führungskräfte, die sich mit komplexen Systemen konfrontiert sehen, also eigentlich alle Führungskräfte und Personen, die sich Fragen, was und wie sie in ihrem Leben und Wirken ändern können, um positive Impulse zu setzen. Wie wir sehen werden, es wird bestenfalls um Impulse gehen. Für komplexe Systeme gilt, was Marius Müller-Westernhagen in seinem Lied Ganz und gar zum Ausdruck bringt:
Denn Garantie gibt dir keiner,
kein lieber Gott, auch der nicht leider.
Und eine Garantie auf Erfolg, die hätten wir doch so gerne. Wie oft wurde sie uns auch versprochen? In der Schule, in den Naturwissenschaften und in den verschiedenen Religionen sowieso. Wir sind mit Kausalketten gross geworden und das folgende Zitat des grossen Physikers Pierre-Simon Laplace aus dem 19. Jahrhundert bringt diesen Determinismus schön auf den Punkt:
Wir können den augenblicklichen Zustand des Universums als Ergebnis der Vergangenheit und als Ursache seiner Zukunft sehen. Wenn ein Intellekt, der zu einem gegebenen Zeitpunkt alle Kräfte, die die Natur antreiben, und alle Orte aller Dinge, die die Natur ausmacht kennt, und wenn dieser Intellekt riesig genug wäre, um diese Daten zu analysieren, er würde in einer einzigen Formel die Bewegung der grössten Körper des Universums ebenso wie die kleinsten Atome erkennen; für einen solchen Intellekt wäre nichts ungewiss, und die Zukunft genauso wie die Vergangenheit wäre vor seinen Augen gegenwärtig.1
Wie schön wäre doch diese Gewissheit und wie einfach würde das Leben dadurch werden, gäbe es diese Formel. Alle Führungskräfte der Welt müssten die mathematische Gleichung nur noch nach dem Umsatz, Gewinn, oder allgemeiner, dem gewünschten Ergebnis auflösen und wüssten wie zu handeln sei. Jede Person wäre in der Lage sich die jeweils gewünschte Zukunft zu erträumen, die notwendigen heutigen Voraussetzungen zu bestimmen und wüsste genau, was und wie zu tun wäre. Mal abgesehen davon, dass diese vom Determinismus geprägte Vision einer Welt stinkend langweilig wäre, ist auch sofort einsichtig, warum das nicht funktionieren kann: Die jeweiligen Zukünfte beeinflussen sich gegenseitig.
Komplexität und Kompliziertheit
Komplexität ist keine Zauberei, aber ist sie das Gleiche wie Kompliziertheit? Einfach Antwort: Nein. Etwas kann durchaus kompliziert sein wie etwa eine Uhr. Es gibt aber klare lineare Abhängigkeiten der einzelnen Teile: die gespannte Feder treibt die Unruh, die Schwingung der Unruh stellt die Zahnräder, die Umdrehungen der Zahnräder repräsentieren Sekunden, Minuten, Stunden aber auch Tage in Form der Datumsanzeige oder andere Komplikationen wie zum Beispiel Mondphasen. Uhrmacher sprechen hier explizit von Komplikationen, das System Uhr ist kompliziert, aber nicht komplex. Die Uhr gehorcht einer simplen linearen Logik und genügt auch der oben zitierten Annahme von Laplace. Ein Zahnrad dreht sich um x Grad und repräsentiert damit eine fixe Anzahl Sekunden, die die Mechanik der Uhr durch die Position der Zeiger anzeigen wird. Es ist möglich die exakte Position aller Einzelteile der Mechanik einer Uhr in der Vergangenheit anzugeben und für die Zukunft vorherzubestimmen. Keine Magie, keine Komplexität, einfache lineare Mathematik, die der Mechanik zugrunde liegt und die Zustände eindeutig beschreibt.
An diesem Beispiel ist auch ersichtlich, dass nicht die Anzahl der Teile eines Systems für Komplexität verantwortlich ist. Eine Uhr kann einfach nur die Stunden und Minuten anzeigten (weniger kompliziert) oder zusätzlich Sekunden, Datum, Mondphasen und Gangreserve (komplizierter). Im zweiten Fall wird dem Uhrmacher ein deutlich grösseres handwerkliches Geschick abverlangt, diese Komplikationen auf kleinstem Raum zu verbauen. Dennoch macht das Mehr an Teilen die zweite Uhr nicht komplex, nur komplizierter.
Demgegenüber unterscheidet sich ein komplexes System dahingehend, dass die Einzelteile des Systems in Wechselwirkung treten, sich also gegenseitig beeinflussen. In ihren Arbeiten zum Dreikörperproblem (ein Spezialfall des Mehrkörperproblems) haben Henri Poincaré und Heinrich Bruns bereits Ende des 19. Jahrhunderts gezeigt, dass Differentialgleichungssysteme, die eine Bewegung von drei (oder auch mehr) Körpern beschreiben, nicht mehr geschlossen integriert werden können und daher nur in Sonderfällen analytisch lösbar sind. Man findet bestenfalls numerische Lösungen für solche Systeme und selbst diese Lösungen für zukünftige Systemzustände variieren zum Teil drastisch bei minimalen Abweichungen im Ausgangszustand. Uns erscheinen solche Systeme als chaotisch. Im Wetter finden wir ein exzellentes Beispiel für ein solches System. Uns sind die Prognosegenauigkeiten beim Wetter und deren Abhängigkeit vom Prognosezeitraum sehr wohl bewusst.
Komplexe Systeme unterscheiden sich also grundlegend von komplizierten und sind nicht etwa eine schlichte Steigerungsform. Die Steigerung von komplizierten Systemen sind kompliziertere, aber immer noch lineare Systeme. In komplexen Systemen stehen die Einzelteile in Wechselwirkung miteinander und beeinflussen sich gegenseitig, zum Teil in unvorhersehbarer Weise. Wenn sich komplexe Systeme steigern, steigt das Chaos.
Komplexität und Chaos
Ein komplexes System besteht also aus Einzelteilen, die in Wechselwirkung miteinander stehen, die untereinander verbunden sind und daher das System schwer vorhersehbar machen. Ein Bienenstock entspricht dieser Definition, da Arbeiterinnen, Königin, Brut und einiges mehr zu diesem System gehören und diese einzelnen Elemente mit allen anderen in Verbindung stehen und sich gegenseitig beeinflussen. Ein weiteres Indiz für Komplexität ist Emergenz. Im Fall des Bienenstocks ist das das Schwarmverhalten der Bienen. Kein einzelnes Element des Systems Bienenstock zeigt dieses Verhalten. Es entsteht erst durch das Zusammenspiel der Einzelteile. Das Schwarmverhalten ist eine ermegente Qualität des Systems Bienenstocks.
Anders als das Wetter ist ein Bienenstock aber doch recht gut vorhersagbar. Worin liegt der Unterschied zwischen den beiden komplexen Systemen Wetter und Bienenstock, der zu der unterschiedlichen Vorhersagbarkeit führt?
Meistens steht im Alltagsgebrauch Chaos für den absoluten Zufall. Nun möchte ich an dieser Stelle gar nicht die philosophische Diskussion der Frage nach der Existenz eines absoluten Zufalls lostreten. Hier soll es um den Zusammenhang zwischen Komplexität und Chaos gehen. Im Kontext mit Komplexität beschreibt Chaos das Phänomen, dass
In den meisten Fällen […] winzige Abweichungen in den Anfangsbedingungen – dem Startzustand – zu gewaltigen Unterschieden im Ergebnis [führen]2
Das beschreibt genau den Zustand, den wir bei der Wetterprognose erkennen. Chaos ist damit keine eigenständige qualitative Zustandsbeschreibung wie Komplexität oder Kompliziertheit, sondern beschreibt eher einen quantitativen Aspekt der Komplexität – ein komplexes System kann mehr oder weniger stark chaotisch sein. Daraus ergibt sich noch eine zweite Unterscheidung eines komplexen Systems von einem komplizierten: die Unumkehrbarkeit. Bei einem komplexen System kann ich aus einem Ist-Zustand nicht auf die Anfangsbedingungen schliessen. Roger Penrose3 schliesst eine Umkehrbarkeit bei komplexen Systemen gleich grundsätzlich aus und verweist auf den 2. Hauptsatz der Thermodynamik. Im Gegensatz dazu kann bei komplizierten Systemen sehr wohl eine akkurate Aussage über vorhergehende Zustände gemacht werden und sie sind auch tatsächlich umkehrbar. Die mechanische Uhr lässt sich buchstäblich zurückdrehen.
In linearen Systemen sind Zusammenhänge meist vergleichsweise leicht herauszuarbeiten und Korrelationen und Kausalitäten sind gut identifizierbar. Für komplexe Systeme sieht das etwas anders aus.
Komplexität, Korrelationen und Kausalität
Komplexe Systeme zeigen, ebenso wie lineare Systeme, Korrelationen und Kausalitäten. Allerdings sind sie auf Grund des chaotischen Verhaltens nicht immer einfach zu erkennen. Dazu kommt noch, dass komplexe Systeme unter Umständen Abläufe zeigen, die vordergründig als Korrelation oder als Kausalität interpretiert werden, aber bei genauerer Betrachtung stellt sich dann doch heraus, dass es keinen Zusammenhang gibt, wo man dachte einen zu sehen. Umgekehrt findet man in komplexen Systemen ungeahnte Zusammenhänge, ungeahnt deswegen, weil sie auf den oben zitierten winzigen Abweichungen beruhen. Jeder hat schonmal von dem sprichwörtlichen Schmetterlingsschlag gehört, der in weit entfernten Regionen einen Sturm auslösen kann4. Diese Schwierigkeiten bei der Interpretation von komplexen Systemen, unter anderem, macht sie so schwer steuerbar.
Ein wichtiger Punkt in der Definition von Kausalitäten ist die eindeutige Abhängigkeit gemäss dem Satz: aus A folgt B. Solche Abhängigkeiten gibt es auch in komplexen Systemen. Aber oft sind komplexe Systeme durch Rückkopplungen gekennzeichnet, haben unterschiedliche Variablen, die auf ein und dasselbe Ergebnis Einfluss nehmen und sich dabei wiederum gegenseitig beeinflussen. Die Zusammenhänge sind eben nicht linear und je mehr Variablen im Spiel sind, als desto chaotischer nehmen wir ein System wahr, da exakte Prognosen immer schwerer fallen und somit das Verhalten des Systems immer schwerer zu verstehen ist. Es wird zunehmend chaotisch.
Erschwerend kommt hinzu, dass wir uns gerne nur einen Teil eines komplexen Systems ansehen, bevorzugt einen, bei dem wir klare Korrelationen und Kausalitäten ausmachen und sich diese auch noch linear entwickeln. Dieser Fokus auf einzelne Faktoren in einem eng gesteckten Rahmen kann manchmal erfolgreich sein (z.B. bei Kalibriergeraden für einen klar definierten Werte- und Gültigkeitsbereich), oft stellt er aber nur eine unzulässige Trivialisierung des Systems da, die zu katastrophalen Folgen führen kann. Ein ganz simples Beispiel ist ein Sichtfenster an einem Gefäss, das tropfenweise mit Wasser gefüllt wird. Mit jedem Tropfen steigt der Wasserspiegel am Sichtfenster absolut stetig, linear und perfekt prognostizierbar. Bis zu dem Punkt, an dem der Wasserspiegel den oberen Rand des Gefässes überstiegt und mit dem einen Tropfen zuviel alle Linearität dahin geht.
Das Beispiel mit dem Tropfen, der das Gefäss zum Überlaufen bringt, zeigt uns den engen Rahmen innerhalb dessen zuverlässige Prognosen über komplexe Systeme möglich sind. Ausserhalb dieses Rahmens lauern Überraschungen.
Selbstorganisation durch Komplexität und Selbstähnlichkeit
Bis zu diesem Punkt muss der Eindruck entstehen, Komplexität sei ein unzähmbares Monster. Bei allen Schwierigkeiten, die komplexe Systeme für unseren menschlichen Geist bereithalten, sie sind etwas anderes als echter Zufall. Beim Wetter spricht man z. B. von einem dynamischen nichtlinearen deterministischen System. Auch wenn uns die Ergebnisse eines komplexen Systems schwer oder gar nicht vorhersehbar erscheinen, sie sind nicht willkürlich. Das komplexe Systeme, egal welcher chaotischen Ordnung, etwas anderes sind als echter Zufall, zeigt auch deren Tendenz zur Selbstorganisation.
Truly random data remains spread out in an undefined mess. But chaos – deterministic and patterned – pulls the data into visible shapes. Of all the possible pathways of disorder, nature favors just a few.5
Mandelbrot hat diesem Thema ein ganzes Buch gewidmet und damit eine neue Geometrie begründet, die er der euklidischen gegenübergestellt sieht6. Ohne an dieser Stelle auf die Mathematik von Lorenz Attraktoren und Skaleninvarianz einzugehen, möchte ich zwei damit zusammenhängende Effekte bei komplexen Systemen erwähnen:
- Es gibt Zustände, die von dem System präferiert werden und auf die es sich sozusagen zu bewegt (Lorenz Attraktoren, siehe auch Zitat Nr. 5)
- Unabhängig von den Grössendimensionen findet man die gleichen Effekte (Skaleninvarianz)
Ein schönes Beispiel für die Skaleninvarianz ist das folgende Bild eines Farns. Jede Rolle des Farnwedels folgt der Fibonacci-Formel, so auch jeder Seitenarm und jeder weitere Seitenarm, bis hinab zum kleinsten Blatt.
Die vermutlich bekannteste mathematische Darstellung eines selbstähnlichen Objekts ist das Apfelmännchen, dass auf der Mandelbrotmenge (folgendes Bild) basiert. Man kann immer weiter hineinzoomen und wird immer wieder die gleichen Strukturen finden.
Umgang mit Komplexität und Steuerung von komplexen Systemen
Mit meinen Ausführungen möchte ich die Grundlage schaffen, fünf Handlungsoptionen zu beleuchten und eine Einschätzung zu deren Wirksamkeit beim Verständnis und dem Versuch der Steuerung von komplexen Systemen wagen. Meine Einschätzung ist nicht zuletzt geprägt durch die von Prof. Peter Kruse, die er im Rahmen eines Interviews wiedergegeben hat, als Kruse gefragt wurde, wie Menschen auf wachsende Komplexität reagieren7.
Ausblenden und ignorieren
Die immer verfügbare Nulllösung – nichts tun. Angesichts der überwältigenden Komplexität eines Systems mag das für viele als die beste Lösung erscheinen. Wenn man die Zusammenhänge eines komplexen Systems, wie oben ausgeführt, ohnehin nicht oder nur sehr schlecht versteht, kann man ja auch so tun, als gäbe es die Sache gar nicht. Ob Ignoranten die Basis für Verschwörungstheorien sind, weil die Verschwörungstheoretiker aus den Ignoranten hervorgehen (also doch nicht so ganz ignorant waren), oder ob sie wegen ihrer Ignoranz den Verschwörungstheoretikern einfach nur die Tür öffnen muss jeder für sich entscheiden. Vermutlich gibt es beide Fälle.
Sicher ist, dass ausblenden und ignorieren keine Lösungsstrategien darstellen und daher keine Aussicht auf eine akzeptable Lösungen bieten. Durch Ignoranz wird man niemals etwas lernen und sich nicht weiterentwickeln.
Ausprobieren
Ausprobieren, oder auch ungehemmter Aktionismus – das Leitmotive einiger Chefetagen – akzeptiert das komplexe System als solches, findet aber offensichtlich auf intellektueller Ebene keinen Ansatzpunkt zum Verständnis. Ein im Kontext des Aus- oder Rumprobierens bei komplexen Systemen oft realisierter Effekt ist die Verschlimmbesserung. Immerhin hat man was getan, nur leider ist es halt nicht besser geworden.
Dennoch kann diese Strategie zu akzeptablen Lösungen führen, ist aber in diesem Fall eher ein Glücksspiel als eine Lernstrategie für den langfristigen Erfolg.
Rationales Verstehen
Wo Ausprobieren zu profan daherkommt, kann der analytisch geprägte Geist auf die Idee kommen, ein komplexes System rational zu verstehen zu wollen. Das ist Grundsätzlich eine gute Sache, aber nur dann vernünftig, wenn wirklich viel Zeit zur Verfügung steht. Unter Zeitdruck handeln zu müssen und ein komplexes System steuern zu wollen, ist bei komplexen Systemen oft auf Grund der Informationsfülle unmöglich und verzögert jede Möglichkeit auf eine Lösungsfindung.
Für gering chaotische Systeme mit wenigen Abhängigkeiten mag das funktionieren, die meisten komplexen Systeme werden sich mit diesem Ansatz aber nicht in sinnvoller Zeit ergründen lassen, was dazu führt, dass man nichts tut – Paralysis by Analysis.
Fokussieren auf einzelne Faktoren
Will man ein komplexes System unbedingt verstehen und nicht durch Ausprobieren und endlose Analysen Handlungsunfähig erscheinen, kann der Fokus auf einzelne Faktoren hilfreich erscheinen. Man pickt sich solche Faktoren heraus, die sich gut beobachten lassen und ggf. sogar den Eindruck erwecken man könne sie rational durchdringen. Das eigentliche Problem (oder System) wird hierbei trivialisiert.
Trivialisierung greift zwar bei komplizierten Systemen mit ihren linearen Abhängigkeiten, nicht aber bei komplexen Systemen mit ihren emergenten Qualitäten.
Intuitive Musterbildung
Schlussendlich bleibt die intuitive Mustererkennung, die unter anderem auf der menschlichen Fähigkeit zur Assoziation beruht. Erfahrungen und Beobachtungen schulen in einem langwierigen Prozess unsere Fähigkeiten im Umgang mit komplexen Systemen und ermöglichen uns schnell und weitgehend automatisch Muster zu erkennend auf bestimmte Situationen richtig zu reagieren.
Betrachtet man die Lernphase als Kalibrierung, wird klar, dass die Lernphase und das zu bearbeitende Problem inhaltlich möglichst nah beieinander liegen müssen, damit die Intuition einen nicht in die Irre leitet. Weiterhin ist es hilfreich, die Intuitionen unterschiedlicher Personen mit unterschiedlichem Lernhintergrund an die Bearbeitung eines solchen Problems zu setzen. Im Kollektiv sind robustere Ergebnisse zu erwarten als auf Basis einer individuellen Intuition mit ihren potentiellen Vorurteilen und einem eingeschränkten Erfahrungshorizont.
Fazit
Wir sind in der Lage Probleme in komplexen Systemen zu lösen. Eine wichtige Rolle spielt dabei unsere Intuition. Auch eine analytische Lösung ist in Genzen möglich. Für Personen mit Führungsverantwortung ist es sicherlich ein guter Ansatz komplexe Fragestellungen in die Hände von gemischten Teams zu geben, die auf Basis ihrer relevanten Intuitionen und eines hohen Grads an Vernetzung die besten Aussichten auf Erfolg haben.
Zu diesem Essay besteht die Möglichkeit mich als Sprecher, Coach oder Moderator zu buchen. Die entsprechende Anfrage kann über das Kontaktformular an mich gerichtet werden.
Literatur:
- Die Aussage stammt aus dem Vorwort zu Essai philosophique sur les probabilités von Laplace aus dem Jahr 1814 hier zitiert nach:
Susskind, L. und Hrabovsky, G.E. (2020) Klassische Mechanik: Das Theoretische Minimum, Springer-Verlag GmbH Deutschland ↩︎ - ebenfalls Susskind, L. und Hrabovsky, G.E. (2020) ↩︎
- Penrose, R. (2004) The Road to Reality – A complete Guide to the Laws of the Universe, Vintage Books, New York ↩︎
- Dieser Schmetterlingseffekt geht auf den Meteorologen und Mathematiker Edward Lorenz zurück, u.a. in Edward N. Lorenz (1993): The Essence of Chaos. University of Washington Press, Seattle ↩︎
- Gleick, J. (1998) Chaos – The Amazing Science of the Unpredictable, Vintage Books, London ↩︎
- Benoît B. Mandelbrot (1977) The Fractal Geometry of Natur, W. H. Freeman and Company, New York ↩︎
- Prof. Dr. Peter Kruse: Wie reagieren Menschen auf wachsende Komplexität, YouTube, zuletzt abgerufen am 21.03.2023 ↩︎