Verständnis für Change-Situationen und Handlungsoptionen

Verständnis für Change-Situationen und Handlungsoptionen

Einführung

In diesem Essay mache ich mir Gedanken zu vier Konzepten, die für mich eine besondere Bedeutung für das Thema Change Management haben. Ein gutes Verständnis dieser Konzepte und deren Zusammenspiel kann sehr hilfreich in allen Arten von Veränderungsprozessen sein, egal, ob es um gross angelegte Change Programme in globalen Unternehmen geht, oder nur um eine individuelle Anpassung des persönlichen Lebensstils. Obwohl, oder auch gerade weil diese Konzepte nicht neu sind, möchte ich nicht den Eindruck erwecken, dass es nicht weitere Konzepte gibt, deren Anwendung ebenfalls gute Resultate erzielen. Ich bin aber der Überzeugung, dass die Masse an neuen Ideen im Change Management oft nur Neuauflagen älterer Konzepte, wie z. B. den hier diskutierten, darstellen.

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Warum dann einen weiteren Essay zu diesen Konzepten? Nach meinem Kenntnisstand bringe ich in diesem Essay zum ersten Mal genau diese vier Konzepte zusammen, diskutiere deren wechselseitigen Abhängigkeiten und leite daraus Handlungsoptionen ab. Ich gehe also darüberhinaus, die Konzepte bloss vorzustellen, sondern ziehe Querverbindungen, deren Kenntnis das Führen im Veränderungsprozess optimiert. Damit ist auch schon eine Aussage über die Zielgruppe gemacht. Dieser Essay richtet sich in erster Linie an Personen, die in Unternehmen mit Change Management Prozessen beauftragt sind. Aber auch Personen, die in einem individuellen Veränderungsprozess stecken, können ggf. Ansätze und Ideen mitnehmen, die die persönliche Veränderungsreise erleichtern. Die vier Konzepte, um die es mir in diesem Essay geht, sind:

Die Konzepte werde ich nicht in grosser Tiefe vorstellen, das ist auf Grund der grossen Verbreitung und dem entsprechenden Bekanntheitsgrads auch nicht notwendig. Jedes Konzept wird für sich mit den für meine Diskussion jeweils wesentlichen Punkten kurz umrissen. Der Schwerpunkt meiner Diskussion wird, wie gesagt, auf der Verknüpfung dieser Punkte und den daraus abgeleiteten Handlungsoptionen bestehen.

Als erstes stelle ich nochmal die Frage, was eigentlich Change Management ist. Eine mögliche Antwort ist: Unter Change Management lassen sich alle Aufgaben, Massnahmen und Tätigkeiten zusammenfassen, die eine umfassende, bereichsübergreifende und inhaltlich weitreichende Veränderung – zur Umsetzung neuer Strategien, Strukturen, Systeme, Prozesse oder Verhaltensweisen – in einer Organisation bewirken sollen. Ich spreche hier von Organistationen, weil mein Fokus mit diesem Essay Change Management Prozesse in Unternehmen sind.

Laut Wikipedia geht der Ursprung von Change Management, als wirtschaftlich relevanter Prozess, auf die Organisationsentwicklung in den USA der 1930er Jahre zurück. Die Wissenschaftler Roethlisberger und Mayo führten im Rahmen von Forschungen zur Leistungssteigerung Experimente in den Werken der Western Electric durch. Sie entdeckten, dass die beobachtete Leistungsfähigkeit der Mitarbeitenden stärker von der Aufmerksamkeit für die Mitarbeitenden beeinflusst wurde als durch Änderungen der Arbeitsbedingungen selbst. Mit anderen Worten: Die Aufmerksamkeit, die Mitarbeitenden entgegengebracht wird, korreliert positiv mit der Leistungsfähigkeit der selben. Die Bedeutung dieser Erkenntnis für einen Change Management Prozess kann gar nicht deutlich genug herausgestrichen werden.

Die vier Konzepte

Das 8-Stufenmodell nach Kotter

Veröffentlicht wurde das Stufenmodell in John P. Kotter: Leading Change: Why Transformation Efforts Fail. In: Harvard Business Review. Band 2, Reprint 95204, 1995, S. 59–67. Kotter baut mit seiner Arbeit auf die beiden oben erwähnten Herren Mayo und Roethlisberger auf, die 1947 ein 3-Phasenmodell für den Veränderungsprozess entwickelt und vorgeschlagen haben. Nach Kotter gibt es acht kritische Fehler, oder besser Fehlerquellen, die den Veränderungsprozess von Organisationen beeinträchtigen. Zur Vermeidung dieser Fehler schlägt er jeweils eine Massnahmenkategorie vor, die zusammen das 8-Stufenmodell ergeben, das Kotter 1996 in seinem Buch Leading Change veröffentlicht hat.

Kotter hat sein Modell weitgehend aus seinen eigenen persönlichen Erfahrungen abgeleitet und auf seinen Beobachtungen aufgebaut. Eine klassisch-wissenschaftliche Fundierung wurde von Kotter nicht offengelegt, sollte sie überhaupt existieren. Allerdings kann ich aus eigener Erfahrung sagen, dass das Stufenmodell, zumindest in den letzten zwanzig Jahren, von unterschiedlichen Beratungsunternehmen zur Anwendung gebracht wurde und dabei oft seine Berechtigung unter Beweis gestellt hat. Hierin zeigt sich auch ein offensichtlicher Nachteil des Stufenmodells: es ist hauptsächlich für Veränderungen in grossen Unternehmen konzipiert und eine uneingeschränkte Anwendbarkeit des Modells auf Veränderungsprozesse aller Art darf angezweifelt werden.

Entsprechend bemüht sich die Forschung vermehrt darum, verschiedene Change Konzepte zu integrieren, um damit leichter zugängliche, praxisorientierte und allgemeingültige Grundprinzipien in der Gestaltung von Veränderungsprozessen zu definieren.

Die folgende Darstellung zeigt die acht Stufen des 8-Stufenmodells nach Kotter:

Aus der Arbeit von Kotter und seinem 8-Stufenmodell können folgende fünf Punkte abgeleitet werden:

  1. Ein sinnvoller Change vollzieht sich in einem mehrstufigen Prozess
  2. Dieser mehrstufige Prozess kann von Führungskräften gezielt zur Steuerung (-> Change Management) genutzt werden
  3. Das Modell ist damit ausnahmslos Top-Down getrieben und vernachlässigt (Eigen-)Initiativen der Mitarbeitenden
  4. Rückschritte können mit dem Modell nicht erklärt werden
  5. Eine gute Vorbereitung (Stufen 1 – 4) und die Kommunikation mit den Mitarbeitenden  (Stufen 4 und 5) sind bei Kotter von zentraler Bedeutung

Man kann davon ausgehen, dass die meisten Beratungsfirmen, die mit Organisationsentwicklung und damit mit Change und / oder Transformationsmanagement ihr Geld verdienen sich mehr oder weniger direkt auf Kotter und sein Stufenmodell beziehen.

Transtheoretical Model of Change nach Prochaska & Velicer

Das TTM (Transtheoretical Model) ist ein Konzept zur Beschreibung, Erklärung, Vorhersage und Beeinflussung von intentionalen Verhaltensänderungen. In unterschiedlichen Ausprägungen findet man das TTM seit den 1980er Jahren in der wissenschaftlichen Literatur, wo es in der Regel mit dem Namen James O. Prochaska verbunden ist. Ich beziehe mich im Folgenden u.a. auf die Publikation von Prochaska, J. O., & Velicer, W.F. (1997). The Transtheoretical Model of health behavior change. American Journal of Health Promotion, 12, 38-48.

Das von Prochaska (University of Rhode Island) entwickelte Modell basiert auf der Annahme, dass Veränderungsprozesse mehrere qualitativ unterschiedliche und aufeinander aufbauende Stufen durchlaufen. Analog zu Kotter spricht man auch beim TTM von einem Stufenmodell. Bei Kotter liegt der Fokus allerdings auf dem Vorantreiben der Veränderung (z. B. durch das Management). Beim TTM wird dagegen die Innensicht der von einer Verhaltensänderung betroffenen Person(en) in den Fokus gerückt.

Prochaska und Kollegen definieren fünf Stufen, die bei einer (Verhaltens-)Änderung laut TTM durchlaufen werden:

  1. Absichtslosigkeit: Personen zeigen keine Absicht, ein problematisches Verhalten zu verändern
  2. Absichtsbildung: Personen haben die Absicht, das problematische Verhalten zu verändern
  3. Vorbereitung: Personen planen, problematisches Verhalten zu ändern und unternehmen erste Schritte in Richtung einer Verhaltensänderung
  4. Handlung: Personen vollziehen eine Verhaltensänderung
  5. Aufrechterhaltung: Personen haben seit längerem das problematische Verhalten aufgegeben

Im folgenden eine Visualisierung der fünf Stufen nach dem TTM:

Wie auch das nachfolgend vorgestellte Konzept von Elisabeth Kübler-Ross stammt das TTM aus dem Gesundheitswesen. In beiden Fällen wird das Individuum in den Vordergrund gerückt, nicht die Organisation. Wo das 8-Stufenmodell nach Kotter danach fragt, wie man viele Personen auf einmal in eine neue Richtung bewegen kann, fragt das TTM danach, was ein Individuum dazu bringt, eine Veränderung einzuleiten, umzusetzen und beizubehalten. Anders als dem Modell nach Kotter liegt dem TTM ein Bottom-Up-Ansatz zu Grunde.

Management (oder Führung) bedeutet beim TTM insbesondere:

  1. Schaffen eines Umfelds, dass die Absichtsbildung unterstützt
  2. Coaching in der Vorbereitung und Handlung
  3. Setzen von Anreizen zur Aufrechterhaltung

Empirisch ist das Modell gut abgesichert, da es, zum Teil in Abwandlungen, seit etwa Mitte der 1980er Jahre in Interventionsstudien zum Einsatz kommt. In diesen Interventionsstudien konnte die Nützlichkeit und Praktikabilität des Modells bestätigt werden. Auf Grund des klinischen Hintergrunds des TTM ist es im klassischen Beratungsansatz weniger bekannt als das Stufenmodell von Kotter. Das TTM kommt daher bevorzugt in Coachings zum Einsatz (ausserhalb des klinischen Umfelds) und kaum in organisatorischen Transformationsprojekten.

Emotional Curve of Change nach Kübler-Ross

Elisabeth Kübler-Ross (* am 8. Juli 1926 in Zürich; † 24. August 2004 in Scottsdale, Arizona) war Psychiaterin. Sie befasste sich mit dem Tod und dem Umgang mit Sterbenden, mit Trauer und Trauerarbeit sowie mit Nahtoderfahrungen und ist eine der Begründerinnen der modernen Sterbeforschung. In den 1960er-Jahren entwickelt Kübler-Ross auf Basis ihrer Arbeit und der Erfahrungen ihrer Sterbeforschung ein Phasenmodell der mentalen Zustände die Veränderungen mit sich bringen.

Die Essenz der Arbeit von Kübler-Ross ist die Emotional Kurve of Change, die inzwischen in unzähligen Variationen abgewandelt und publiziert worden ist. Im Grundsatz ist aber allen Darstellung gemein, dass sich die Moral (oder der Gemütszustand einer Person) über die Zeit verändert. Die Veränderung der Moral im Verlauf eines Veränderungsprozesses folgt demnach einem mehr oder minder festgelegtem Muster und wird als die Emotional Kurve of Change bezeichnet.

Eine mögliche Darstellung, die sich am Original orientiert, ist die folgende Kurve:

Im westlichen sind sich die unterschiedlichen Quellen, die sich zu diesem Thema äussern, darüber einig, dass eine Person in einem Veränderungsprozess folgende Phasen durchläuft:

  1. Auf Schock folgen Verneinung, Frustration, Wut, Depression
  2. Tiefpunkt, teilweise gepaart mit offenem Widerstand
  3. Öffnung und Neugierde für die neue Situation
  4. In dieser Phase steigt die Bereitschaft zu lernen, sich in der neuen Situation zurecht zu finden
  5. Akzeptanz und Integration der Veränderung

Frei nach Kübler-Ross kann man sicherlich sagen, dass im Veränderungsprozess alle Beteiligten emotionalen Schwankungen unterliegen. Diese emotionalen Schwankungen variieren von Person zu Person mitunter stark – aber egal wie tragisch, Menschen können Veränderungen akzeptieren, nur eben in ihrem individuellen Rhythmus. Kommunikation und Austausch sind besonders in den ersten Phasen der Schlüssel zum Verständnis für die Veränderung und damit zum Change Management (siehe auch Kotter). Sobald mit der Öffnung die Bereitschaft zum Lernen steigt, muss diese genutzt werden. Kommunikationsstrategien können nicht kurzfristig durchgesetzt werden, sie benötigen einen langfristigen Ansatz und ein Verständnis für die Stadien, die ein Mensch bei Veränderungen durchläuft. Und ganz wichtig zu Beachten: Auch und gerade als Change Manager durchlaufe ich diese emotionalen Hochs und Tiefs ebenfalls, dessen sollte man sich stets bewusst sein.

Sowohl bei Coaches als auch bei Consultants ist Kübler Ross bekannt und wird gerne zitiert. Einige Beratungsfirmen haben die ursprüngliche Kurve stark modifiziert, was oft die scheinbare Komplexität der Thematik erhöht, aber an der grundsätzlichen Aussage nichts verändert.

Kruger Dunning Effekt nach Kruger & Dunning

Der Kruger Dunning Effekt (KDE) ist benannt nach den Autoren des Artikels Kruger, J., & Dunning, D. (1999). Unskilled and unaware of it: How difficulties in recognizing one’s own incompetence lead to inflated self-assessments. Journal of Personality and Social Psychology, 77(6), 1121–1134 und lässt sich vermutlich am Besten mit den Worten von Dunning (2010) beschreiben: Wenn man inkompetent ist, kann man nicht wissen, dass man inkompetent ist […]. Die Fähigkeiten, die Sie benötigen, um eine richtige Antwort zu geben, sind genau die Fähigkeiten, die Sie benötigen, um zu erkennen, was eine richtige Antwort ist.

Der KDE bezeichnet die kognitive Verzerrung im Selbstverständnis inkompetenter Menschen, das eigene Wissen und Können zu überschätzen, was auf der Unfähigkeit beruht, sich selbst mittels Metakognition objektiv zu beurteilen. Die beiden Sozialpsychologen hatten bemerkt, dass Unwissenheit oft zu mehr Selbstvertrauen führt als Wissen und kamen 1999 zum Resultat, dass weniger kompetente Personen:

  • dazu neigen, ihre eigenen Fähigkeiten zu überschätzen
  • überlegene Fähigkeiten bei anderen nicht erkennen
  • das Ausmass ihrer Inkompetenz nicht richtig einschätzen
  • durch Bildung oder Übung nicht nur ihre Kompetenz steigern, sondern auch lernen können, sich und andere besser einzuschätzen

Eine mögliche Darstellung des KDE zeigt die folgende Abbildung:

Der KDE ist kein klassisches Element der Change Management Toolbox, kann meiner Meinung nach aber unter Umständen helfen Verhalten und Effekte zu erklären, die bei Kübler-Ross und TTM auftreten, die mit Hilfe von Kommunikation (bidirektional) und Ausbildung (z.B. in neuen Prozessen) abgemildert oder ganz umgangen werden können. Bildung und Übung werden zu einem elementaren Change Management Tool.

Der KDE unterliegt sozio-kulturellen Einflüssen und ist sehr individuell, man findet ihn also bei Personen unterschiedlicher Kulturkreise unterschiedlich stark ausgeprägt.

Last but not least:

Als Führungskraft bin ich selbst auch potentielles Opfer des KDE

Verständnis von Change Situationen

Bei vertieftem Interesse empfehle ich eine Internetrecherche zum Konzept der Wahl – es gibt zu allen vier Konzepten sehr umfangreiches Material, das ich hier nicht wiedergeben möchte, da es den Rahmen dieses Essays sprengen würde. Mein Anliegen ist vielmehr das Zusammenwirken dieser Konzepte, die Bedeutung des Zusammenspiels in Change Situationen, sowie das daraus resultierende Verständnis und den Umgang mit Veränderung hervorzuheben. Im Folgenden werde ich nun die vier Konzepte zusammenführen.

Mit dem Stufenmodell und dem TTM haben wir zwei gegensätzliche Beschreibungen eines generischen Change Prozesses. Im Stufenmodell wird der sogenannte Top-Down-Ansatz gewählt – eine höhere Hierarchie innerhalb einer Organisation trifft die Entscheidung über die Veränderung, die niedrigeren Hierarchien der selben Organisation müssen die Veränderung umsetzen, zumindest aber damit zurechtkommen. Das TTM beschreibt den umgekehrten Prozess und damit einen Bottom-Up-Ansatz (wenn innerhalb einer Organisation) oder zumindest einen Ansatz, bei dem die betroffene Person selbst über die Veränderung entscheidet.

Die beiden anderen Konzepte beschreiben dagegen, wie einzelne Personen emotional (Kübler Ross) und intellektuell (Kruger & Dunning) mit der Situation umgehen.

Für Change Situationen in Organisationen ergibt sich daraus die Notwendigkeit die betroffenen Personen in den Mittelpunkt zu setzen, die Erkenntnis aus den 1930er Jahren von Roethlisberger und Mayo, die ich bereits eingangs erwähnt habe. Warum? Eine Change Situation, egal ob innerhalb einer Organisation Top-Down getrieben, oder individuell selbst auferlegt wird immer auf der Individualebene abgearbeitet. Veränderungen werden immer Personen auf eine ganz individuelle Art berühren. Das Stufenmodell versucht dies im ersten Schritt durch das Erzeugen eines Dringlichkeitsgefühls zu erreichen, doch hier scheitert das Change Management bereits regelmässig: Das, was das Dringlichkeitsgefühl des Managements ausmacht (höhere Hierarchie) entspricht nicht zwingend dem, was die Mitarbeitenden (tiefere Hierarchie) als dringlich empfinden. Wenn dann noch eine abstrakte Vision formuliert und lieblos kommuniziert wird (Stufen 3 und 4) wandelt sich das gutgemeinte Change Management in ein rigoroses Durchpeitschen neuer Standards, die nur unter grossen Mühen gegen den Widerstand der Mitarbeitenden durchgesetzt und dann aufrecht erhalten werden können. Mit seinem Stufenmodell wollte Kotter genau vor diesen Fehlern warnen, die Umsetzung in den Unternehmen lässt aber leider oft zu wünschen übrig. Im besten Fall wird nun noch versucht den Gemütszustand der Mitarbeitenden gegen die Emotional Kurve of Change von Kübler-Ross zu mappen, ohne aktive Massnahmen zur Einbindung der Kolleginnen und Kollegen bleibt aber auch das meist nur ein Trostpflästerchen auf dem Rapport des Change Managers, der damit zwar den Widerwillen, auch Change Resitance genannt, rechtfertigt, aber auch keine zufriedenstellend Lösung anzubieten hat.

Es mangelt dann oft an der grundlegenden Einsicht, dass die Mitarbeitenden entsprechend eingebunden sein müssen. Doch allein dieser Satz ist für viele Manager bereits ein rotes Tuch, teils aus Hilflosigkeit, weil nicht klar ist wie das zu bewerkstelligen sein soll, teils aus Angst, denn was klar ist, ist die Tatsache, dass das dauern wird. Und Zeit ist bekanntlich Geld.

Damit ist auch bereits der aus meiner Sicht einzige Fall absehbar, in dem ein rigoroses Vorgehen nach dem Stufenmodell seine Rechtfertigung hat: in einem Turnaround, also wenn es für das Unternehmen ums Überleben geht. In allen anderen Fällen gibt es einen besseren Weg. Insbesondere in Zeiten des Fachkräftemangels und im Kampf um die besten Köpfe ist es für Unternehmen nicht mehr zeitgemäss Veränderungen einfach Top-Down durchzusetzen und Mitarbeitende im Prozess zu verprellen.

Ein inkludierendender Ansatz für Change Management

Nach meiner Erfahrung ist es für Organisationen ein absolutes Muss, auf der Führungsebene Klarheit darüber zu erlangen, was es zu erreichen gilt. Um in der Terminologie der vorgestellten Konzepte zu bleiben: 1. Entwicklung einer Vision. Diese Vision der Führungsebene muss im nächsten Schritt mit den Mitarbeitenden der betroffenen Organisationseinheiten abgestimmt werden. Das bedeutet nicht zwangsläufig die endlose Diskussion mit allen einzelnen Betroffenen, aber die Einbindung von Repräsentanten der betroffenen Einheiten ist der Schlüssel zur Akzeptanz der Vision. Diesen zweiten Schritt bezeichnen ich als 2. Feintuning der Vision mit dem Input der betroffenen Organisationseinheiten. In der Nomenklatur des TTM bewegen wir uns jetzt von der Absichtslosigkeit hin zur Absichtsbildung bei den Mitarbeitenden im betroffenen Bereich.

Im Vergleich zu Kotter wird ersichtlich, dass ich somit die Stufen 3 und 4 an den Anfang stelle und im Prozess die im Stufenmodell vorangestellten Stufen (1. Dringlichkeit, 2. Führungskoalition) im Rahmen der Kommunikation und Abstimmung der Vision und damit später erledige. Jetzt ist es möglich das 3. Erarbeiten einer Umsetzungsstrategie in den betroffenen Bereich zu delegieren und nach der Absichtsbildung (Problembewusstsein) in die Vorbereitung (Absicht zur Veränderung) zu gehen. Abhängig von Umfang und Auswirkungen der geplanten Veränderungen ist eine Projektorganisation (Sponsor, Lenkungsausschuss, Projektleiter) notwendig, die diesen Prozess begleitet. Mit der Projektorganisation geht es in den nächsten Schritt: 4. Handeln (aktive Modifikation) und nach erreichen des Zielzustands in die Phase 5. Aufrechterhalten und festigen des neuen Zustands.

Die Stufen 5.,6. und 7. aus dem Stufenmodell von Kotter werden hier im vierten Schritt (Handeln) des TTM zusammengefasst. An dieser Stelle kommen auch die beiden anderen Konzepte ins Spiel. Wie nehmen die einzelnen Mitarbeitenden die Veränderung auf? Idealerweise durchlaufen sie die Emotional Curve of Change (Kübler-Ross) zügig und die Veränderungen stossen auf breite Zustimmung und Akzeptanz. Dort wo das nicht der Fall ist muss der Ursache auf den Grund gegangen werden. Oft kann Widerstand gegen die so eingeleitete Veränderung im KDE in Form von zwei Extremen gefunden werden: a) der ignorante Idiot (grosses Selbstvertrauen bei geringem Wissen) oder b) den Ahnungslosen im Tal der Verzweiflung (geringes Selbstvertrauen bei fortgeschrittenem Wissen). Identifizierbar sind diese beiden Typen in der Regel dadurch, dass sie in der Kurve nach Kübler-Ross mit den Phasen Leugnung (der Ignorante) bzw. Depression (Tal der Verzweiflung) zusammenfallen. Auf der Zeitachse kommen die Leugner und Ignoranten also typischerweise recht früh im Projekt aus der Deckung. Mit Schulung und gezielter Kommunikation der Beweggründe für die Veränderung, insbesondere aus den eigenen Reihen durch die bereits eingebunden Mitarbeitenden können diese Personen für das Projekt gewonnen werden. Es ist nicht selten, dass die gleichen Personen, dann im nächsten Schritt im sprichwörtlichen Tal der Verzweiflung landen und erneut (oder weiterhin) Betreuung und Schulung brauchen.

In diesem inkludierenden Ansatz nehmen ich die oben aus dem Stufenmodell nach Kotter abgeleiteten Punkte auf:

  • Ein sinnvoller Change vollzieht sich in einem mehrstufigen Prozess
    Genau, es müssen aber nicht die 8 Stufen nach Kotter sein. Ich orientiere mich stärker am TTM.
  • Dieser mehrstufige Prozess kann von Führungskräften gezielt zur Steuerung (-> Change Management) genutzt werden
    Anders als beim Stufenmodell muss eine zeitgemässes Change Management eine viel grössere Einbindung der Mitarbeitenden gewährleisten, was sich insbesondere im nächsten Punkt zeigt …
  • Das Modell ist ausnahmslos Top-Down getrieben und vernachlässigt (Eigen-)Initiativen der Mitarbeitenden
    Durch die Integration der Erkenntnisse aus dem TTM und die hohe Mitwirkung durch die Mitarbeitenden werden in meinem inkludierenden Ansatz die Nachteile des Stufenmodells ausgeglichen und ein grosser Bottom-Up- Anteil ergänzt den sonst ausnahmslos Top-Down getriebenen Ansatz.
  • Rückschritte können mit dem Modell nicht erklärt werden
    Durch das Hinzuziehen von Konzepten, die den emotionalen (Kübler-Ross) und intellektuellen (Kruger & Dunning) Umgang mit der Change Situation erklären, werden Widerstände und die daraus resultierenden Rückschritte erklärbar
  • Eine gute Vorbereitung (Stufen 1 – 4) und die Kommunikation mit den Mitarbeitenden  (Stufen 4 und 5) sind bei Kotter von zentraler Bedeutung
    Das gilt ebenso für den inkludierenden Ansatz, allerdings lege ich Wert auf eine frühe Einbindung und Übernahme von Verantwortung durch die Mitarbeitenden im Change Prozess.

Fazit

Ein Change Management das wirklich auf die Mitarbeitenden fokussiert kann aus den vier vorgestellten Konzepten lernen und die jeweiligen Stärken gezielt nutzen. Der vordergründige Mehraufwand gegenüber einem stumpfen Abarbeiten des Stufenmodells nach Kotter, wie es nach wie vor bei Organisationsveränderungen Gang und Gebe ist, rechtfertigt sich in der Nachhaltigkeit und der grösseren Zufriedenheit der Mitarbeitenden. Der vorgestellte Prozess orientiert sich stark am TTM und durchläuft:

  1. Entwicklung einer Vision
  2. Feintunig der Vision mit der betroffenen Organisationseinheit
  3. Erarbeiten einer Umsetzungsstrategie durch die betroffene Organisationseinheit
  4. Handeln (aktive Modifikation)
    • Überprüfen der Veränderungsbereitschaft einzelner Personen
    • Spiegeln im Fall von Widerständen am KDE bzw. Kübler-Ross
    • ggf. Massnahmen zur Begleitung einzelner Personen definieren
  5. Aufrechterhalten & Festigen des neuen Zustands

Ich behaupte, unterm Strich ist der von mir skizzierte Ansatz sogar schneller in der Umsetzung, da die Organisation sich eigenständig um das Aufrechterhalten der von ihr selbst umgesetzten Veränderung kümmert. Damit sind die in der Regel gesetzten Effizienzsteigerungen schneller erreichbar, als mit einem Change Programm, das nach dem Stufenmodell arbeitet oder sich direkt daran anlehnt.

Zu diesem Essay besteht die Möglichkeit mich als Sprecher, Coach oder Moderator zu buchen. Die entsprechende Anfrage kann über das Kontaktformular an mich gerichtet werden.

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